Reportage

Holzkunst aus dem Erzgebirge

Spätestens seit der Wende ist weihnachtliche Holzkunst aus dem Erzgebirge auch in den alten Ländern bekannt: Gemütliche Räuchermänner, leuchtende Fensterbögen und kunstvolle Pyramiden werden auf Weihnachtsmärkten und im Einzelhandel verkauft und gehören in vielen Haushalten zur jährlichen Dekoration. Wir haben einen Familienbetrieb direkt an der tschechischen Grenze besucht, in dem seit Generationen gedrechselt wird.

Holzkunst
Holzkunst© Selbermachen

Drechseln des Holzes
© Selbermachen

Wer in der Werkstatt von Wolfgang Braun in Oberlochmühle bei Seiffen steht, kommt sich vor wie Gulliver in Lilliput, denn hier entstehen alljährlich bis zu tausend kleine Räuchermänner. Die hölzernen Gesellen haben fünf verschiedene Gesichter und Gewänder: Da ist der rote Weihnachtsmann mit seinem Geschenken und dem Adventskalender, der blaue Nachtwächter mit der Laterne und dem Hund, daneben der Kutscher mit Pferd. Zwei Hirten mit Schafen vervollständigen die Räuchermann-Familie. Trotz unterschiedlicher Farben, Körperhaltungen und Ausstattungen der Figuren ist ihre Verwandtschaft nicht zu übersehen: Die Männlein sprechen eine einheitliche Formensprache, sind gleich groß und schmauchen alle eine gemütliche Pfeife.

Holzkunst im Erzgebirge: fast alles Handarbeit

Wolfgang Braun fertigt seine Räuchermänner aus Fichtenholz. "Das nehmen wir wegen der schönen Maserung. Weil wir die Figuren später beizen, bleibt sie sichtbar", erläutert Braun. "Außerdem ist Fichte ein weiches Holz. Das lässt sich gut formen, ist nur manchmal ein wenig sperrig. Mit ganz scharfem Werkzeug und von Hand geht das am besten." Manch ein Holzstück, das der Drechsler in seiner Werkstatt verarbeitet, stammt aus dem familieneigenen kleinen Forst am Ortsrand. Dann wird es mindestens drei Jahre lang gelagert, bis die Restfeuchte unter zehn Prozent liegt.

Verkauf auf vielen Wegen

Ab und zu werden die Frauen in der Malstube unterbrochen: Die Tür zum kleinen Verkaufsraum direkt nebenan wird geöffnet. Dort drängen sich neben den Räuchermännern Engel und Bergmänner, Krippenfiguren und Miniaturen in Spandosen in den Regalen und auf den Tischen. Heute gehört eine Familie aus Oldenburg zu den Kunden. "Wir machen jedes Jahr hier Urlaub. Heute schauen wir nur ein wenig. Wir kommen die Woche noch mal wieder", erzählen sie. Neben dem Direktverkauf ist der Facheinzelhandel für Wolfgang Braun der wichtigste Vertriebsweg. Zusammen mit rund 140 anderen kleineren Betrieben der Region hat er sich außerdem in der Genossenschaft der Drechsler, Bildhauer, Holz- und Spielwarenhersteller ("dregeno") zusammengeschlossen. Sie vertreibt rund 9000 Holzkunstprodukte und erschließt für diese auch Märkte über die Region hinaus. Dieses Konzept "Gemeinsam sind wir stärker" funktioniert vor allem deshalb, weil jeder Betrieb seine eigene Nische besetzt.

Verschiedene Techniken der Holzbearbeitung

Holzbank weiß-braun mit Rückenlehne
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Die Spezialisierung fängt schon mit der Technik der Holzbearbeitung an. Am weitesten verbreitet ist das Drechseln. In Werkstätten wie der von Wolfgang Braun entsteht der größte Teil aller Nussknacker, Räuchermänner, Engel und Bergmänner. Die zweite prägende Technik ist die Schnitzerei. Mit ihren scharfen Messern fertigen die Schnitzer Pyramiden und Figuren, Wandbilder und Schwibbögen. "Jeder Drechsler und jeder Schnitzer versucht, etwas Einzigartiges zu schaffen, entwickelt seine ganz eigene Farb- und Formensprache", erläutert Braun und zeigt auf seine Räuchermänner. Je nachdem, wie der schräge Kragen auf den Rumpf der Figuren gesetzt wird, neigen sie den Kopf mal nach vorn, mal zur einen und mal zur anderen Seite. "Unsere Besonderheit ist die Bewegtheit der Figuren." Die beiden weiteren Techniken, das Reifendrehen und das Spanbaumstechen, sind Spezialitäten der Region.

Erzgebirge Holzpuppe
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Beim Reifendrehen wird ein Holzring mit dem Drechseleisen so bearbeitet, dass der Querschnitt des Holzes die Kontur eines Tiers oder einer Figur annimmt. Der Reifen wird in Scheiben geschnitten, die dann durch Schnitzen und Bemalen zu fertigen Figuren weiterverarbeitet werden. Beim Spanbaumstechen werden mit einem scharfen Messer von einem gedrechselten Lindenholzstab Späne abgezogen, jedoch nicht komplett entfernt. Die Späne rollen entlang des Stabs nach oben und bilden kleine Löckchen. So entstehen Bäume mit lustigen Ästen oder Sterne mit filigranen Verzierungen. Sie zieren Schwippögen, Pyramiden und Spielzeugdosen.

Holzkunst als Aushängeschild für die Region

Rund 2000 Erzgebirgler sind heute mit der Herstellung oder dem Vertrieb von Räuchermännern, Schwibbögen, Pyramiden und Co. beschäftigt. "Die Holzkunst-Branche prägt unsere Region", betont Anton Uhlmann, Geschäftsführer des Verbandes Erzgebirgischer Kunsthandwerker und Spielzeughersteller e.V. in Seiffen. "Das verbindet die Menschen hier sehr stark und trägt zu einer gemeinsamen Identität bei. Gleichzeitig hat die Holzkunst erhebliche wirtschaftliche Bedeutung, durch den Verkauf und durch den Tourismus." Beides ist eng miteinander verzahnt. Manch ein Urlauber reist gezielt wegen der Holzkunst ins Erzgebirge. Und wer zum Wandern oder Walken kommt, der entdeckt die Kunst vor Ort. "Viele Betriebe zeigen ihr Können in Schauwerkstätten. Manch einer bietet gerade in der Ferienzeit Drechsel- oder Schnitzkurse für Laien an. Das Spielzeug- und Freilichtmuseum in Seiffen, die Manufaktur der Träume in Annaberg-Buchholz und das Nussknackermuseum in Neuhausen sind beliebte Ausflugsziele", zählt Veronika Hiebl, Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Erzgebirge e.V., auf. Und natürlich leben die Weihnachtsmärkte der Region von der Holzkunst.

So entsteht die Holzkunst im Erzgebirge:

Titel fehlt
Sägen
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Schritt 1/11: Sägen

Der erste Arbeitsschritt ist der Einschnitt: Große Holzblöcke werden in handliche achteckige Quader gesägt.

Verarbeiten des Holzes
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Schritt 2/11: Verarbeiten des Holzes

Weiter geht es im Nachbarraum. In eine Seite des Kantels wird eine Höhlung vorgebohrt und diese dann auf die Spindel der Handdrechselbank gesetzt. "Der Kantel wird angeschlagen" nennt der Fachmann diesen Arbeitsschritt.

Holz schleifen
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Schritt 3/11: Holz schleifen

Die Handdrechselbank ist eine von drei Maschinen im Raum. "Rund 80 Prozent unserer Produkte sind Handarbeit. Bei Stückzahl von bis zu 400 arbeite ich an der Handdrechselbank, bei bis zu 3000 an der Facon-Drehbank hier daneben. Nur für ganz hohe Stückzahlen stellen wir aus Mustern Formeisen her, die dann in den Vollautomaten eingesetzt werden", erklärt Wolfgang Braun.

Durchbohren der Spitze
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Schritt 4/11: Durchbohren der Spitze

Dann durchbohrt er die Spitze. Und diese wird rund gedrechselt. Das Ergebnis ist ein Kegel mit einer abgerundeten Spitze.

Schleifen
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Schritt 5/11: Schleifen

Mit Schleifpapier und Schleiffilz glättet Wolfgang Braun die Oberfläche.

Figurenrumpf
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Schritt 6/11: Figurenrumpf

Fertig ist die Grundform des Rumpfes.

Sägen
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Schritt 7/11: Sägen

Zurück geht es in die Sägewerkstatt nebenan. Der Holzkünstler sägt eine lange Seite des Holzes an und schleift sie glatt. Der Bauch des Männchens ist jetzt abgeflacht.

Ansägen
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Schritt 8/11: Ansägen

Durch Ansägen und Abschleifen der schmalen Seite des Zylinders ent stehen die Schultern. Rechts und links des Bauches setzt Braun noch mal die Säge an.

Verarbeiten des Holzes
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Schritt 9/11: Verarbeiten des Holzes

Hier werden später die Arme angebracht. Sie werden – genau wie Kragen und Kopf, Hände und Hut, Beine und Sockel – mit Holzleim befestigt.

Bearbeiten der Figuren
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Schritt 10/11: Bearbeiten der Figuren

Die Mäntel aller Räuchermännchen brauchen Knöpfe, die Taschen der Hirte Gurte aus Bindfaden, der Weihnachtsmann eine Wunschliste und der Kutscher ein Hufeisen. Alle Figuren bekommen Haare verpasst. Weihnachtsmann, Nachtwächter und Kutscher tragen Bart.

Finish der Figuren
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Schritt 11/11: Finish der Figuren

Insgesamt, so die Schätzung von Wolfgang Braun, stecken rund 60 Arbeitsschritte in einem solchen Räuchermann. Werde ein Unikat, etwa in einer besonderen Größe, hergestellt, dann dauere das etwa 25 Stunden.

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